multipleoption_14

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Wer bin ich? Was will ich? Wofür kämpfe ich? Wer bin ich heute, gerade jetzt, morgen?
Lauter Fragen und tausend Entscheidungen. Ausserdem hat der heutige Mensch mithilfe der neuen Technologien die Möglichkeit, seine Identität noch freier zu wählen; mehrere Gesichter gleichzeitig zu tragen, ohne erkannt zu werden.

MULTIPLE OPTION taucht in diesem Sinne in unterschiedlichste Identitäten. Basierend auf wahren Geschichten von Jugendlichen werden diese persönlichen Spielräume ausgelotet: es wird spielerisch erzählt und nach neuen Möglichkeiten der Figuren gesucht; tote Winkel, Unausgesprochenes, das zwischen den Zeilen schlummert, wird aufgedeckt und ausprobiert. Es wird bewusst gedehnt, verzerrt und überzeichnet, um den tieferen Beweggründen der Charaktere näherzukommen.

Ein achtzehnjähriger Junge ist dem Computerspiel verfallen und lebt mehr in der virtuellen als der realen Welt. Er lebt lieber als magischer Held zwischen Orks und Blutelfen, anstatt jeden Morgen als unbedeutender Schüler aufzustehen. Seine Mutter macht sich Sorgen und versucht neuen Kontakt mit ihm aufzunehmen. – Ein Mädchen aus Schlieren hat andere Sorgen: sie fühlt sich ungeschminkt als niemand und will unbedingt ein Star oder Model werden. – Schreiben oder Schlagen ist die eingeschränkte Wahl von X, die unmöglich mit ihrer Mutter kommunizieren kann und versucht sich als Rapsängerin einen anderen Weg zu Anerkennung und Respekt zu bahnen. – Ein junger Schlägertyp träumt davon professioneller Fussballspieler zu werden. Seine Eltern sind ratlos und meinen er hänge mit den falschen Typen rum; denn an ihrer vorbildlichen Erziehung könne es nicht liegen, dass er grundlos dreinschlage. – Und dann gibt es da noch viele mehr…

MULTIPLE OPTION wendet sich an alle Altersklassen, denn die Themen betreffen unser Zusammenleben in einer Gesellschaft mit vielen Wegen und vielen Türen. Junge Menschen haben bloss die Eigenheit, öfter anzuecken und die vorhandenen Strukturen in Frage zu stellen. Das Publikum erhält eine aktive Rolle als Mitdenker in einem aktuellen Diskurs. Das Wissen um die wirkliche Existenz dieser Personen, deren Geschichten dargestellt werden, verstärkt die emotionale Teilnahme und regt an, nach Lösungen für Konflikte zu suchen. Das Ensemble mischt sich sogar einmal unter die Zuschauer und fragt diese nach ihrer Meinung betreffs eines vorhandenen Problems.

Die jungen Schauspieler Vera Bommer, Samuel Eisenring, Mabô Kouyaté, Yvon Oesch und Pema Shitsetsang sprühen vor Energie und Einfallsreichtum. Sie werden musikalisch live von den Musikern Christian Schmid und Rico Baumann unterstützt. Das Stück langweilt keine Sekunde – ein Besuch lohnt sich da wirklich. Isabel Rohr, Filmkritikerin, Art-TV

Isabel Rohr, Filmkritikerin, Art-TV

It’s all about me
Vier Jugendliche konkurrenzieren mit ihren Lebensgeschichten in einer TV-Show um die Gunst der Zuschauer. Das Publikum wird zum Probepublikum für die Sendung der Extreme. Emotionen sind heute angesagt, man will sich am Scheitern der anderen ergötzen. The world’s next top model oder der diesjährige Super Star? Wer hat das Krasseste erlebt, wer kann sich am Besten verkaufen? Darum geht’s. Das zählt. Auch in diesem Stück.

Vier Geschichten als Prototypen. Multipleoption_14 fängt ein Stück Aufwachsen ein. Das Finden eines eigenen Selbst in Mitten vom westlichen Selbstverwirklichungswahn. Ein Hindernislauf für jeden Aufwachsenden. Die Gubcompany thematisiert auf eindringliche & beklemmende Weise vier mögliche Geschichten von Jugendlichen. Und bleibt dabei keineswegs harmlos. Vier mögliche Identitäten, die sich im Dschungel der Möglichkeiten einen Weg an die Oberfläche bahnen. Oder im untiefen Wasser gegen das Untergehen kämpfen. Sie stehen als Beispiele für viele.

So viele Möglichkeiten. Spiegel überall Spiegel. Vor lauter Darstellungsmöglichkeiten droh ich mich selbst zu verlieren. Die Geschichten spiegeln die Oberflächlichkeit der heutigen medialen Sendeformate. Und damit auch die Oberflächlichkeit der gesellschaftlichen Strukturen. Die gleichzeitig aber Authentität und Leistung einfordern. Wer hat da noch wirkliche, grosse Ziele? Alles wird aufgeblasen und vervielfältigt; trashig und schnelllebig weiss niemand mehr was wahr ist, was zählt. Hält man mal eine Leitplanke umklammert, zersetzt sie sich auch schon wieder.

Die Schauspieler auf der Bühne springen leichtfüssig in neue Rollen, werden zu Jugendlichen, zu Eltern. Dabei verwandelt sich die Beleuchterin schnell mal zu einem Ork und der Praktikant wird zum krassen Gangster. Nackte Gewalt, endloses Gamen, Schönheitsprinzessinen. Beim Spiel um den Fame geht jeglicher Inhalt verloren. In der Multimedialen Selbstdarstellung bleibt das Transportierte auf der Strecke. Mit Tanz, Spiel, Musik und Videoprojektionen wird das Phänomen mit seinen eigenen Stilmitteln und in jedem Winkel der Bühne ausgereizt. Der stimmige Einsatz der verschiedenen visuellen und auditiven Medien und der ständige Bruch im Erzählfluss macht die Inszenierung zur spannenden und gleichzeitig verwirrenden Reise zu eigenen Fragen. Schnelllebig wie das Thema wirkt die Inszenierung selbst. Immer schön locker bleiben. Doch es bleibt ein intensiver Nachgeschmack. Perfekt zu sein. Das steht im Mittelpunkt. Sei es auch ohne etwas zu können. Hauptsache man steht im Mittelpunkt. Mit Aufmerksamkeit verwöhnt oder derer gänzlich beraubt kämpfen die Schauspieler auf der Bühne um die Zuneigung des Publikums. Die Jugendlichen um die der Welt.

Im Wirrwarr der Äusserlichkeiten, in der Brutalität der Belanglosigkeit suchen sie aber auch nach einem Funken Wahrheit. Als Alternative für kurze und immer längere Zeit bleibt die Flucht in bunte Ersatzwelten. In diesen bekommen sie das Nötigste: Die Anerkennung beim Gamen, die Action beim Prügeln. Musik als letzte Rettung in der Unverstandenheit des Aufwachsens. Oder die übermässige Beschäftigung mit der Oberfläche. Sie muss als bröckelnder Ersatz für die innere Leere herhalten. Sie gewährt einen Moment Glanz, ein bisschen Ablenkung. Aber schlussendlich wollen Sie nur weg, raus in die Welt, die sie so (noch) nicht wahrnehmen, ernst nehmen will.

Der Gubcompany gelingt es dieses Dilemma multimedial einzufangen. Mit erstaunlich frischem Spiel, lebendiger Sprache und passend eingesetzten Visuals entstand ein Stück Zeitbild – das berührt. Rasant, schnell und packend. Ganz und gar nicht nur für Jugendliche. Aber für die auch.

Vesna Garstick, Journalistin, Texterin